Wo ein kleiner Fluss zwei Welten trennt

Der Río Miño, oder wie die Portugiesen sagen würden „Rio Minho“. Ein Fluss, der die portugiesische Stadt Caminha und die spanische Provinz Galicien trennt. Die Grenze zweier Welten, obwohl doch nur wenige Meter zwischen ihnen liegen.

Wer den portugiesischen Jakobsweg läuft, steht oftmals vor der Entscheidung, welche Route die nächste sein soll. Wechselt man von dem Küstenweg auf den zentralen Weg, geht man so viele Kilometer wie möglich auf portugiesischem Boden oder möchte man spanisches Festland erobern oder entscheidet man sich am Ende doch für die spirituelle Variante?

Den Abend vor dem Tag, an dem ich eine dieser Entscheidungen treffen musste, verbrachte ich mit zwei sehr lieben Menschen. Susanna aus Tschechien habe ich am zweiten Tag meines Jakobswegs in einer kleinen privaten Herberge kennengelernt. Wir waren von Anfang an auf einer Wellenlänge, und da sie und ich ein gleiches Tempo an den Tag legten, sind wir die darauffolgenden drei Tage gemeinsam gepilgert. Auf dem Weg von Viana do Castelo, im Norden Portugals, nach Caminha, sind wir Richard aus Deutschland begegnet. Bei einer Kaffeepause in einem kleinen Café sprach er uns an und beschloss spontan, ein Stückchen mit uns zu laufen. Solche Begegnungen machen den Jakobsweg aus. Man lernt unheimlich viele verschiedene Menschen aus verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen Motivationen, den Weg zu gehen, kennen.

Geplagt von Knieschmerzen waren die 23 Kilometer Fußmarsch nicht gerade einfach für mich. Wir pausierten immer mal wieder zwischen Weinreben und dem salzigen Duft des Meeres. Da ich schon ein paar Tage unterwegs war, wusste ich, dass es für mich das Beste ist, lieber langsamer zu gehen und den Weg zu genießen, als hektisch die Strecke zu rennen, um ja einen Platz in der Pilgerherberge zu ergattern. So entschlossen wir drei uns dazu, auf einem Campingplatz nicht weit von Caminha zu übernachten.

Ein riesiger Wald aus meterhohen Pinien trennten uns noch vor dem diesmaligen Schlafplatz. Man kann es sich kaum vorstellen. Der gesamte Boden war ausgekleidet mit den Nadeln der Bäume, in der Nase hing der Duft von Sommer, Meer und den Pinien, und der Gedanke daran, dass man schon fast die Grenze zu Spanien erreicht hat, löste in mir unheimliche Glücksgefühle aus.

Pinien
Die meterhohen Pinien kurz vor dem Campingplatz

Das erste was wir machten als wir am Campingplatz ankamen, war eine Pause bei einem großen Krug Bier. Es war irgendwie nicht ganz real. Ein kleines Stückchen Wasser lag also nur noch vor uns und dem Festland Spaniens. Und während wir also dasaßen und unser Bier tranken, kam in mir die Frage auf, wie der Weg am nächsten Tag denn nun für mich weitergehen soll. In Caminha gabelt sich der Weg. Eine kleine Fähre fährt täglich für kleines Geld mehrmals von Portgual nach A Guarda in Spanien. Ich wusste, dass Susanna und Richard definitiv in Portugal bleiben und auf den zentralen Camino wechseln wollten. Als großer Fan Spaniens fiel mir die Entscheidung nicht ganz einfach. Jetzt, wo ich zwei so super liebe Menschen an meiner Seite hatte, mit denen ich stundenlang reden und lachen konnte, sollte ich sie schon wieder verlassen? Und was würde passieren, wenn ich auf dem restlichen Weg niemanden mehr kennen lerne? Mit diesen Gedanken ging ich ins abends Bett und wachte mit denselben Gedanken am nächsten Morgen wieder auf.

Grenze
Der kleine Berg hinter dem Wasser ist spanisches Festland

Richard, Susanna und ich wollten uns ein leckeres, typisch portugiesisches Frühstück gönnen. In einem kleinen Café in Caminha tranken wir Kaffee und aßen Pasteis de Nata. Auf die Frage, ob ich die beiden denn nun begleiten wolle, wusste ich noch immer keine Antwort. Richard versuchte mich zu überreden, mit ihnen mitzugehen, und in diesem Moment kam wieder mein Bauchgefühl. Irgendetwas sagte mir, dass es das Richtige wäre, mit der Fähre nach Spanien zu fahren. Es fiel mir sehr schwer, die beiden Menschen gehen zu lassen, die ich in so einer kurzen Zeit so liebgewonnen hatte. Das ist die Krux des Jakobswegs. Früher oder später trennen sich die Wege von Mitpilgern. Wir verabschiedeten und umarmten uns und jeder ging seinen Weg.

Ticket
Für nur einen Euro bringt einen die Fähre nach Spanien

Die Überfahrt dauerte nur knapp 20 Minuten. Und als ich dann so auf spanischem Boden stand, war es merkwürdig. Die Menschen, die Vegetation und die Gebäude sahen so anders aus. Und obwohl der Río Miño an der Grenze nur zwei Kilometer breit ist, kommt es einem vor, als wäre man an einem ganz anderen Ort. Die Ruhe Portugals war auf einmal verschwunden. In Spanien ist alles ein wenig hektischer, schneller und lauter. Selbst der Kaffee oder das Gebäck schmeckten ganz anders als in Portugal, und nicht zu vergessen, die Preise waren um einiges höher.

Und nicht unweit von der kleinen Anlegestelle der Fähre befindet sich die Atlantikküste Spaniens. Es war unbeschreiblich schön. Dieser Tag war einer der wenigen, an denen ich fast ausschließlich und direkt an der Küste entlanggelaufen bin. Meterhohe Wellen türmten sich an zahlreichen Felsen, die aus dem Wasser emporstanden. Kreischende Möwen und die gleißende Sonne machten die Atmosphäre perfekt. Die kilometerlange Küste strahlte eine unfassbare Ruhe aus, und das Rauschen des Meeres versetzte mich in einen meditationsartigen Zustand. Kein Schmerzen, keine schlechten Gedanken oder Gefühle habe ich an diesem Tag empfunden. Und ich wusste, wieder einmal, dass ich mich immer und bedingungslos auf mein Bauchgefühl verlassen kann.

Küste
Die wunderschöne Atlantikküste Spaniens

2 Gedanken zu „Wo ein kleiner Fluss zwei Welten trennt“

  1. Ein schöner Artikel, der viele gute Erinnerungen bei uns weckt. Kaum zu glauben, dass es nun schon vier Jahre her ist, seit wir auf dem Weg nach Santiago waren und dabei ebenfalls in Caminha halt gemacht haben. Jetzt wo wir durch den kalten Norden wandern, denken wir besonders gerne an Spanien zurück. Wir wünschen dir auf jeden Fall noch viel Spaß und tolle Erfahrungen bei deinen weiteren Reisen!
    Wenn du magst, kannst du ja mal einen Blick in unser Spanien-Reisetagebuch werfen:
    https://www.lebensabenteurer.de/reisetagebuch/reiseblog-spanien/

    Buon Camino
    Die Lebensabenteurer
    Heiko und Franz

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